Wie hilfreich sind Gespräche im
Trauerprozess?
Dr. Siegfried Hartmann:
Wir al-
le möchten nicht leiden und ver-
suchen Schmerzen zu vermeiden.
Menschen neigen heute oftmals da-
zu, Trauer, wie auch andere schwie-
rige Lebensphasen als medizinisches
Problem zu sehen und hoffen auf
Hilfe durch Psychopharmaka. Aber
Trauer als Reaktion auf einen Ver-
lust ist eine ganz normale Reaktion.
Menschen sind soziale Wesen und
so ermöglicht das Gespräch durch
den Ausdruck unsere Gefühle, dem
Anderen Anteilnahme zu zeigen
und trösten zu können. Sicher gibt
es Menschen, die alles mit sich aus-
machen und es braucht auch eine
Zeit des Schweigens, der Ruhe, um
wieder zu sich zu kommen. Für die
meisten Menschen sind aber gute
Gespräche eine ganz zentrale Hilfe
im Trauerprozess. Es hilft natürlich,
wenn sich die Gesprächspartner von
Trauernden emotional einlassen
können und Erfahrung mit Trauer
haben. Das ist der große Vorteil in
den Trauercafés.
Welche anderen Möglichkeiten
gibt es aus Sicht der Medizin um
Trauer zu verarbeiten?
Dr. Siegfried Hartmann:
Viele An-
gehörige und Freunde versuchen
mit gutgemeinten Ratschlägen wie
„Lenk dich ab“, „Es ist ihm ja gut
gegangen, dass er sterben konnte“
ihre Hilflosigkeit zu überwinden.
Für trauernde Menschen ist das
meist keine Hilfe. Ich rate, der Trau-
er im Leben einen Platz zu geben,
den Schmerz zuzulassen – auch die
Tränen. Wenn es gelingt, der Trau-
er einen Platz und Zeit zu geben,
gibt es auch wieder Raum für den
Alltag. Ich erinnere die Trauern-
den an Rituale, die ihnen helfen
können, diese schwierige Zeit zu
bewältigen. Manchmal kann eine
Trauerreaktion so schwer werden,
dass Menschen auch medizinische
Hilfe benötigen. Da sollte eine psy-
chotherapeutische und oft auch ei-
ne medikamentöse Behandlung in
Anspruch genommen werden.
Welche Beschwerden können bei
Trauernden noch auftreten?
Dr. Siegfried Hartmann:
Man-
che Trauernde reagieren auch mit
körperlichen Beschwerden, die
selbstverständlich zuerst abgeklärt
werden müssen, bevor sie als Trau-
erreaktion im Sinn einer psychoso-
matischen Störung diagnostiziert
werden können. Bei leichten Be-
schwerden hilft oft ein aufklärendes
Gespräch, sonst ist sicher eine Psy-
chotherapie sehr zu empfehlen.
Die Zeit der Trauer ist für viele ei-
ne sehr einsame Zeit.Wie gelingt
es Menschen aus ihrer Einsamkeit
herauszuholen?
Dr. Siegfried Hartmann:
Ich erkläre
den Menschen die wichtige Bedeu-
tung sozialer Kontakte im Trauer-
prozess. Gelegentlich gelingt es, dass
sie Angebote, wie zum Beispiel die
Trauercafés, annehmen.
Welche Hilfestellungen sind aus
ihrer jahrelangen Erfahrung als
Mediziner für Hinterbliebene am
ehesten sinnvoll, damit sie mit
ihrer Trauer leben lernen?
Dr. Siegfried Hartmann:
Wie schon
gesagt, halte ich Rituale, die sich aus
der spirituellen Praxis jedes Einzel-
nen ableiten, für wichtig. Oft er-
kläre ich, wie man der Trauer eine
Struktur geben kann. Sich im Lauf
des Tages Zeit zu nehmen, um in-
nezuhalten, sich zu erinnern oder je
nach religiöser Orientierung zu be-
ten. Bei uns sind auch der oftmalige
Besuch des Grabes und die Grab-
pflege ein wichtiger Bestandteil der
Trauerkultur. Auch ermutige ich
meine trauernden Patienten sich
ihr eigenes Ritual nicht von ihren
Bekannten oder Freunden nehmen
zu lassen.
Einen Sterbenden zu begleiten,
und auch seine Angehörigen, be-
nötigt sehr viel Einfühlungsver-
mögen. Werden angehende Medi
ziner in ihrer Ausbildung dafür
speziell geschult?
Dr. Siegfried Hartmann:
Während
meiner Ausbildung gab es da noch
große Defizite. Heute besteht für
Studenten und Ärzte ein großes An-
gebot an Aus- und Weiterbildung.
Trauercafes:
„Der Trauer im Leben einen Platz geben“
Trauer braucht Raum, Zeit und Resonanz - oft mehr als die nähere Umgebung verstehen kann. Viele trauernde
Menschen suchen deshalb das Gespräch und die Möglichkeiten, ihre Trauer zu leben. Dabei kann der Austausch
mit anderen Betroffenen hilfreich sein. Hospiz Vorarlberg bietet mit den Trauercafés eine Möglichkeit, sich mit
anderen trauernden Menschen auszutauschen. In einem in der Zeitschrift „Lebenszeit“ (Nr. 4/November 2013)
veröffentlichten Gespräch erzählt Siegfried Hartmann, Allgemeinmediziner aus Rankweil, über seine Erfahrun-
gen im Umgang mit Trauer.
Dr. Siegfried Hartmann
„Ich erkläre den
Menschen die wichtige
Bedeutung sozialer
Kontakte im
Trauerprozess.“
Informationen über alle
Termine in vielen Vorarlberger
Gemeinden unter
Tel. 05522-200 1100 oder
Trauercafés
Arzt im Ländle
02-2014
|
19