Solidarisch finanzierte Gesundheitsversorgung muss geschützt werden
SYSTEMFEHLER
Die solidarisch finanzierte Gesundheitsversorgung ist das Rückgrat unseres Gesundheitssystems. Sie gewährleistet, dass jede Patientin und jeder Patient – unabhängig von sozialem Status oder finanziellen Mitteln – Zugang zu optimaler medizinischer Versorgung hat. Sie ist auch ein wesentlicher Faktor für die gesellschaftliche Stabilität. Das Problem dabei: Die finanzielle Absicherung des Systems ist alles andere als zukunftsfit.
Das prognostizierte Defizit der ÖGK beträgt mehr als 800 Millionen Euro, die Staatskassen sind leer, sie zwingen zu harten Sparmaßnahmen, es gibt große Defizite im Landesbudget – daher angekündigte Restrukturierungsmaßnahmen – und der Gemeindeverband verweigert die Zustimmung zum Budget des Landesgesundheitsfonds, weil die Gemeindefinanzen zu angespannt sind. Parallel dazu fehlen Termine für Patient:innen, sind Operationssäle und Bettenstationen gesperrt und vieles mehr.
Die Finanzierung hat einen Systemfehler. Das Pferd wird vom Schwanz aufgezäumt, denn Bruttoinlandsprodukt und Sozialversicherungsbeiträge definieren, wieviel Geld zur Verfügung steht. Finanziert wird aber nicht der tatsächliche Bedarf, der durch die medizinischen Fortschritte, die alternde Bevölkerung und den steigenden Anspruch an Qualität und Zuwendung massiv steigt. Das fehlende Geld für den dringend notwendigen Ausbau der Gesundheitsversorgung bedroht nicht nur die Qualität der medizinischen Betreuung, sondern auch den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Es muss daher Ziel und Anstrengung sein, das System abzusichern. Doch Lösungsansätze, die Hoffnung machen, sind nicht zu sehen.
Seit Jahren verhallen Aufforderungen, Regulative für die Inanspruchnahme zu schaffen. Die Milliarden, die in den letzten Finanzverhandlungen an Länder und ÖGK bezahlt wurden, sind maximal ein Tropfen auf den heißen Stein. Eine spürbare Entlastung des Systems haben die 100 Kassenstellen (4 für Vorarlberg) nicht gebracht. Die Gelder, die wir von der ÖGK aus dem Bundeszuschuss für die Finanzierung von zumindest einigen Jobsharings und einzelnen zusätzlichen Kassenstellen verwenden konnten, sind aufgebraucht. Die zuletzt prognostizierte Steigerung der Kassenbeitragseinnahmen von knapp 5 Prozent wird durch die erwartete Frequenzzunahme bei der Inanspruchnahme der Leistungen aufgefressen, eine mögliche Anpassung der ärztlichen Honorare daher von der ÖGK mit 0 Prozent berechnet.
Im Spitalsbereich steht eine Restrukturierung bevor. Was als „Spitalscampus Vorarlberg“ öffentlich bereits diskutiert wird und in diesem Jahr konzeptionell finalisiert werden soll, hat letztendlich das Ziel, Strukturen abzubauen und zu konzentrieren. Das wird vielleicht helfen, solange aber alle Patient:innen ungehindert Zugang zu den von ihnen selbst definierten Anlaufstellen haben, muss stark bezweifelt werden, dass damit Ressourcen gespart werden.
Im niedergelassenen Bereich kann man sich kaum vorstellen, dass Strukturen zurückgefahren werden. Die Idee einer Zentralisierung und Konzentration in PVEs oder Facharztzentren wird jedenfalls keine Ressourcen sparen. Wie wir an den Vorarlberger PVEs sehen, versorgen diese nicht deutlich mehr Patient:innen pro ärztlichem Vollzeitäquivalent als vergleichbare Einzelpraxen, kosten im Vergleich aber eher mehr. Man wird also an der Leistungsschraube drehen müssen, wenn das Geld fehlt.
Es braucht dringend eine verbindliche Patientenlenkung, die definiert, wer wann welche Struktur in Anspruch nehmen darf. Eine Steuerung über digitale Tools, 1450 oder vorgelagerte EVAs kann vermutlich helfen, die Patientenströme in die Ambulanz zu unterbinden. Diese neuen Strukturen kosten zunächst aber viel Geld. Sie sollten daher konsequent auf ihre Effizienz geprüft werden. Zeigen sie nicht die gewünschte Wirkung, sollten sie redimensioniert werden.
Das ASVG definiert für den kassenärztlichen Bereich, dass das Maß des Notwendigen bei Diagnostik und Therapie nicht überschritten wird. Hier sollte die Kasse exakter definieren, was von ihr finanziert wird und was nicht. Neben dieser solidarisch finanzierten Basis auf hohem Niveau muss es den Patient:innen dann auch möglich sein, die gewünschten zusätzlichen Leistungen privat zu bezahlen (analog der IGeL-Regelung in Deutschland). Ein zusätzlich ermöglichter Privatanteil würde nebenbei auch Kassenvertragsstellen interessanter und leichter besetzbar machen.
Auch ein generell eingehobener Kostenbeitrag bei der ÖGK, wie bei der SVS oder BVAEB, könnte zusätzliches Geld zur Abdeckung des Gesamtbedarfs lukrieren. Durchaus mit Befreiungsmöglichkeiten oder auch zur Steuerung und Motivation, wie die SVS den Selbstbehalt nutzt. Der seit Jahren diskutierte aber nicht angegangene Bürokratieabbau wäre ein zusätzlicher Mosaikstein.
Was wir auf jeden Fall erhalten sollten, ist gesellschaftliche Solidarität: Wir müssen gemeinsam dafür werben, dass die solidarisch finanzierte Gesundheitsversorgung ein hohes Gut ist, das es zu schützen gilt. Als Ärztinnen und Ärzte tragen wir nicht nur Verantwortung für die Gesundheit unserer Patient:innen, sondern auch für die Zukunft unseres Gesundheitssystems. Wir werden dafür einstehen, dass die solidarisch finanzierte Gesundheitsversorgung stabilisiert und nicht geschwächt wird.