GESUNDHEITSREFORM

Seit Jahren verstärkt sich der Eindruck, dass das Gesundheitssystem aus allen Nähten platzt. Der Druck und die Nervosität auf allen Seiten steigen, die Unzufriedenheit nimmt zu, das Gefühl, nicht mehr zu bekommen, was man will (oder braucht), ist bei Patien:innen allgegenwärtig.

Seit Jahren warten wir auf eine Gesundheitsreform, die greift und die entweder ausreichend Ressourcen zur Verfügung stellt, oder aber Leistungsbegrenzungen für Patient:innen unter dem Titel „Patienten-Steuerung“ akzeptiert. Jedenfalls eine, die bestehende Probleme löst. Diese Reform gibt es aber nicht.

Ein Beispiel? Die letzte als „großer Wurf“ verkündete Gesundheitsreform stellte den Ländern und den Kassen knapp eine Milliarde Euro zusätzlich zur Verfügung. Nach langem Ringen und obwohl klar war, dass Spitäler entlastet und der niedergelassene Bereich gestärkt werden sollten, hat der Bund den Ländern gut 600 Millionen (indexangepasst und mit der Möglichkeit, auch Schulden zu bedienen) gegeben, der Kasse 300 Millionen Euro. Klingt gut. Mit 300 Millionen Euro kann man grundsätzlich neue Kassenstellen schaffen und die Versorgungsstruktur im niedergelassenen Bereich verbessern.

Das bisherige Ringen um die Verteilung dieser Gelder zwischen Ministerium und Kassen soll nun weitgehend beendet sein und siehe da – die vollmundig verkündeten 300 Millionen sollen wie folgt verteilt werden: 70 Millionen an die „kleinen Kassen“, 100 Millionen für den Ersatz von Amalgam, weiteres Geld für öffentliche Impfprogramme und Digitalisierung, sodass letztendlich 80 Millionen Euro, begrenzt bis 2028, im niedergelassenen Bereich verplanbar sind. Wenn man davon ausgeht, dass Vorarlberg etwa vier Prozent davon bekommt, sind das 3,2 Millionen Euro. Aus diesen sollen neue Stellen finanziert werden und die Anpassung der Honorare österreichweit erfolgen.

Wenn das ganze Geld in neue Stellen fließen würde, könnten wir sechs bis sieben komplette Arztstellen (garantiert bis 2028) finanzieren. Für eine Honoraranpassung österreichweit bliebe dann aber nichts mehr übrig. Gleichzeitig wissen wir aber, dass der Stellenbedarf im niedergelassenen Bereich bis 2030 bei knapp 70 Stellen liegt – nur, um den Ist-Stand der Versorgung aufrechtzuerhalten. Doch dafür liegt keinerlei Planungs- oder Finanzierungskonzept vor. Wir laufen also sehenden Auges in einen noch größeren Versorgungsnotstand. Oder haben Sie im Vorwahlkampf jemanden aus der Politik erlebt, die oder der ein Konzept oder eine Vision hat, wie das alles gestemmt werden könnte? Die Kassen sind mit ihren Mitteln am oder über dem Limit. Ohne Zuflüsse aus Steuermitteln könnten sie derzeit kaum überleben. Der Bund wird von der EU aufgefordert, bis 2028 etwa 12 Milliarden Euro einzusparen. Gleichzeitig fordern Politiker:innen Termingarantien für Arztbesuche, die Abschaffung des Wahlarztsystems und versprechen dabei die modernste Medizin.

In Wahrheit verhindern diese Politiker:innen vernünftige Regulierung und Patientensteuerung, sie demonstrieren eine Ignoranz gegenüber bestehenden Problemen, liefern keine Konzepte und Visionen und treten stattdessen mit vernunftbefreiten Versprechen und Forderungen auf. Das ist eigentlich ein öffentliches Bekenntnis, das System an die Wand zu fahren.

Die leidvolle Erfahrung von uns Ärtz:innen ist: Als Kompensation für fehlende politische Entscheidungen für ausreichenden Ressourcen und Regularien werden Machtstrukturen entwickelt, die Ärzte gegängelt, gedeckelt und gezwungen. Und dann ist man auch noch erstaunt darüber, dass wir uns dagegen wehren, die Systemschwächen auszubaden.

Wir brauchen entscheidungsstarke und umsetzungsstarke Visionärinnen und Visionäre, die auch bereit sind, in einem komplexen Umfeld jene Partner, die an vorderster Front die Leistungen erbringen, in die Entwicklung miteinzubeziehen. Wenn ich mir aber die Realität und den Wahlkampf anschaue, der gerade in Fahrt kommt, verstehe ich die Politikverdrossenheit von vielen. Ich wünsche Ihnen einen schönen Sommer.