WAHLARZTDEBATTE

In drei Monaten haben wir einen neuen Nationalrat. Die politischen Parteien bringen sich schon in Stellung, einige wollen im gestarteten Wahlkampf mit Zukunftsperspektiven punkten, andere hingegen benennen bereits heute schon ihre Sündenböcke, die sie für eigene Versäumnisse verantwortlich machen wollen. Die SPÖ hat sich schon früh auf die Wahlärzt:innen eingeschossen. Zuerst die Forderung von Bundesparteichef Babler, dass Wahlärzt:innen gezwungen werden sollen, auch Kassenpatient:innen zu versorgen; dann die Forderung des roten Wiener Stadtrates Hacker, dass Teilzeit-Spitalsärzt:innen verboten werden soll, eine Wahlarztpraxis zu führen. Nur so könne das Gesundheitssystem, das aus allen Löchern pfeife, am Leben erhalten werden.

Nun darf daran erinnert werden, dass die SPÖ bis zum Herbst 2017 mit drei Unterbrechungen stets in der Regierung saß, auch die letzten vier Legislaturperioden davon sogar durchgehend den Kanzler stellte. Und Wien wird sowieso seit Menschengedenken rot regiert. Umso erstaunlicher ist es, dass ausgerechnet die SPÖ, die jahrzehntelang an der Entwicklung des Gesundheitssystems mitgewirkt hat, jetzt von dessen miserablem Zustand spricht. Das Gesundheitssystem ist nicht erst seit Herbst 2017 ein Patient, das Gesundheitswesen in Österreich wird schon seit Jahrzehnten ausgehungert – auch mit roter Verantwortung. Jetzt die Wahlärzt:innen dafür zum Sündenbock zu stempeln, ist weder zielführend noch glaubwürdig.

Sehen wir uns die Entwicklung in Vorarlberg an. 2014 hat es noch 321 Kassenstellen und 268 Wahlarztstellen gegeben, heute sind es 362 Kassenstellen und 341 Wahlarztstellen. Hier von einer Privatisierung des Gesundheitswesens zu sprechen trifft jedenfalls nicht zu – zumindest nicht in Vorarlberg, in einigen anderen Bundesländern sehen die Zahlen anders aus. Besonders das Hausarztsystem in Vorarlberg muss sich diesen Vorwurf nicht gefallen lassen, hier gibt es aktuell 167 Kassenstellen und 72 Wahlarztstellen und der Zuwachs an Wahlärzt:innen in der Allgemeinmedizin ist aktuell rückläufig.

Fest steht, ohne Wahlärzt:innen wäre das Gesundheitswesen in Vorarlberg nicht aufrecht zu halten, sie stellen eine tragende Säule im System dar und werden von den Patient:innen auch dankend angenommen. Und anders als in Wien gibt es hierzulande auch nur eine Handvoll Spitalsärzt:innen, die parallel zu ihrem Krankenhausjob noch eine Wahlarztpraxis führen. Unterstützung für die Wahlärzt:innen kommt in Vorarlberg auch von der ÖGK und vom Patientenanwalt.

Es gibt derzeit jedenfalls keinen Grund, in Vorarlberg an diesem Dreier-System von Spitalsärzt:innen, Wahlärzt:innen und Kassenärzt:innen zu rütteln, es funktioniert. Zumindest noch. Denn wenn die Kassenstellen und Spitalsstellen nicht attraktiver und zeitgemäßer werden, dann droht vermutlich auch in Vorarlberg ein überbordender Zustrom ins Wahlarztsystem. Die SPÖ sollte in ihrem Wahlkampf daher weniger mit Verboten und Einschränkungen operieren, als sich viel mehr darum kümmern, wie Arbeitsbedingungen in Krankenhäusern und Kassenarztpraxen verbessert werden können. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen allen einen erholsamen Sommer.