ÖÄK-Wahlarztreferat: Offener Brief an die Funktionäre der ÖGK
ÖÄK, Wahlarztwesen
Momen Radi, Leiter des ÖÄK-Referats für Wahl- und Privatärzte, meldet sich in der aktuellen Diskussion rund um das Thema Wahlärzte mit einem Offenen Brief zu Wort.
Sehr geehrte Funktionärinnen und Funktionäre der Österreichischen Gesundheitskasse!
Die Spatzen pfeifen es von den Dächern und es ist für jeden Bürger Österreichs ersichtlich, dass unser Gesundheitssystem leidet. Wenn ich speziell den niedergelassenen Bereich anspreche, dann, weil ich als niedergelassener Wahlarzt diesen Bereich am besten überblicke, was nicht heißt, dass beim Schielen auf die Krankenhäuser nicht auch dort die zunehmend prekäre Situation augenscheinlich ist.
Jedenfalls haben wir im extramuralen Bereich zu wenig Ärztinnen und Ärzte. Nicht etwa bei der Gesamtzahl, sondern vielmehr bei der Anzahl jener, die sich bereit erklären, als Vertragsarzt für die Kassen zu arbeiten. Hinzu kommt aber auch, dass uns eine Pensionswelle der geburtenstarken Jahrgänge um die Sechziger und Siebziger Jahre treffen wird. Also jener Ärzte, die auf Grund ihrer aufopfernden Arbeits- und Einsatzwilligkeit das österreichische Gesundheitswesen zu einem der besten der Welt geformt haben.
Die Nachbesetzung wird immer schwieriger. Zum einen, weil die Work-Life-Balance-Generation nicht mehr bereit ist, im Hamsterrad der ÖGK-Bedingungen zu arbeiten. Außerdem ist die Medizin weiblich geworden. Eine Folge daraus ist ein vermehrter Wunsch nach Teilzeitbeschäftigung. Das bedeutet letztlich, dass ein bisher umfassend versorgender Kassenarzt durch zwei bis drei Nachfolger ersetzt werden muss, um die gleiche Versorgungswirksamkeit zu erreichen. Die Schlussfolgerung: die Kopfzahl muss erhöht werden, um auch in Zukunft die gleiche Zahl an Vollzeitäquivalenten zu haben. Und das wiederum spießt sich mit dem Nachwuchsproblem durch Abwanderungen: Medizinabsolventen werden bei uns nicht abgeholt, sondern wandern zu einem guten Teil ins Ausland ab. Unter den Verbleibenden teilt sich die Gruppe dann noch zwischen Anstellung und Freiberuflichkeit auf, wobei hier deutlich mehr als Wahlarzt tätig sind und den Kassen den Rücken zukehren. Wahlärzte haben in den vergangenen Jahren zunehmend - im Übrigen zur Ersparnis der ÖGK - die Versorgung aufrechterhalten. Da spreche ich noch nicht einmal über die prekäre Situation der Pandemie.
Unter diesen Umständen stünde es der ÖGK gut zu Gesicht, diese Klientel zu bewerben und in positive Gespräche zu kommen, um den einen oder anderen oder vielleicht sogar viele für das Kassensystem zu gewinnen. Dazu bräuchte es Veränderungen und konstruktive Vorschläge in vielerlei Hinsicht.
Was es hingegen nicht braucht, sind unsachlich agierende ÖGK-Funktionäre, die Wahlärztinnen und Wahlärzte in ihrer Gesamtheit verunglimpfen und lieber das Wahlarztsystem abschaffen, die e-Card Struktur aufzwingen und den Rückersatz der Honorare ablehnen, anstatt ihre Rolle in der Versorgung anzuerkennen und konstruktiv Lösungsvorschläge zu machen, um sie wieder in das öffentliche Gesundheitssystem zu bekommen. Denn es stünde der ÖGK gut zu Gesicht, ihr selbst verschuldetes Versorgungsproblem sachlich und in konstruktiver Weise anzugehen, in erster Linie durch respektvollen und vor allem wertschätzenden Umgang mit den noch verbliebenen versorgenden Ärztinnen und Ärzten. Die Ärzteschaft und im Speziellen die Wahlärzte sind unter dieser Voraussetzung sicherlich gesprächsbereit.
Mit freundlichen Grüßen,
MR Dr. Momen Radi, Leiter des Referates für Wahl- und Privatärzte in der Österreichischen Ärztekammer