Neue Modell-Rechnung: Was hilft gegen Ärztemangel?
ÖÄK, Ärztemangel
Eine Studie von Simulationsforscher Popper und seinem Team zeigt, wie sehr die Zeit drängt. ÖÄK-Vizepräsident Steinhart fordert Maßnahmen-Mix.
In einer von der Bundeskurie niedergelassene Ärzte beauftragten Studie haben die Simulationsforscher Nikolas Popper und Claire Rippinger anhand von Rechenmodellen analysiert, mit welcher Entwicklung der Ärztinnen- und Ärztezahlen unter welchen Bedingungen zu rechnen ist. „Wir wollten wissenschaftlich fundiert wissen, wie sich bestimmte Interventionen zum Beispiel in der ärztlichen Ausbildung oder eine Attraktivitätssteigerung der kassenärztlichen Rahmenbedingungen auf die künftigen Ärztezahlen auswirken würden“, sagt Johannes Steinhart, Vizepräsident der Österreichischen Ärztekammer und Obmann der Bundeskurie niedergelassene Ärzte. „Das ist eine wichtige Grundlage für kompetente gesundheitspolitische Entscheidungen.“ Berücksichtigt wurden dabei Allgemeinmedizinerinnen und Allgemeinmediziner sowie Fachärztinnen und Fachärzte, bei Letzteren besonders Fächer mit bereits bestehender deutlicher Knappheit.
In den nächsten zehn Jahren ist aufgrund der Altersstruktur mit einem Rückgang der besetzten Stellen um ca. 5,5 Prozent von aktuell rund 47.000 auf 44.400 im Jahr 2030 zu rechnen, so die Studienautoren: „Dieser Rückgang wirkt sich vor allem auf die niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte aus.“ Die Zahl der niedergelassenen Allgemeinmedizinerinnen und Allgemeinmediziner falle bei den Kassenärztinnen und Kassenärzten von 4.100 auf 3.450 und bei den Wahl- und Privatärztinnen und -ärzten von 4.500 auf 3.800. Danach bleiben die Zahlen konstant auf diesem niedrigen Niveau. Im Facharztbereich seien die Fächer Augenheilkunde, Frauenheilkunde, Innere Medizin und Urologie jeweils im Kassenbereich am stärksten betroffen.
Auch zusätzliche Ausbildungsanfänger durch weniger Abwanderung ins Ausland nach dem Studium) oder mehr Ausbildungsstellen würden entsprechende Vorlaufzeiten benötigen, betonten die Studienautoren. Selbst bei einer sehr hohen Anzahl von Ausbildungsanfängern könne der pensionsbedingte Rückgang an berufstätigen Ärztinnen und Ärzten frühestens in etwa 15 Jahren ausgeglichen werden.
Eine Attraktivitätssteigerung der Kassenverträge hätte der Studie zufolge bei den einzelnen Fächern unterschiedliche Auswirkungen: „Insbesondere bei Fächern, bei denen derzeit der Großteil der Niederlassungen keinen Kassenvertrag haben, ergibt sich hier ein großes Potential, um den pensionsbedingten Rückgang der Kassenärztinnen und -ärzte auszugleichen. Bei anderen Fachrichtungen kann dieser Rückgang lediglich abgeschwächt und nicht komplett ausgeglichen werden“, so die Studienautoren.
Ihre Folgerung: „Es benötigt deswegen eine Kombination aller Maßnahmen, um den Gesamtrückgang der Ärztinnen und Ärzte in Österreich abzubremsen und eine ausreichende Versorgung durch Kassenärztinnen und -ärzte gewährleisten zu können.“
Rahmenbedingungen für Allgemeinmediziner optimieren
Seit mehr als zehn Jahren machen auch die
Allgemeinmedizinerinnen und -mediziner in der Ärztekammer immer wieder
darauf aufmerksam, dass ein Ärztemangel drohen wird. „Auch durch die
vorliegende Studie wird dieser Umstand wieder bewiesen“, so Edgar
Wutscher, Obmann der Bundessektion Allgemeinmedizin in der ÖÄK.
„Leider zeigen die politisch Verantwortlichen und Vertreter der
Sozialversicherung nur in Sonntagsreden auf, dass hier etwas getan
werden muss. Konkret lassen sich Gespräche vermissen. Es hilft
niemandem, schon gar nicht den Patientinnen und Patienten, wenn man
von Attraktivierung der Kassenverträge für Allgemeinmedizinerinnen und
-medizinern spricht, wenn man von Kassenstellen für alle spricht, und
dabei nicht zur Kenntnis nimmt, dass diese in vielen Bereichen derzeit
unattraktiv sind und überhäuft mit Bürokratie.“ Es könne daher auch
keine Lösung sein, wenn man Wahlärzte nun zwangsweise in das
Kassensystem stecken wolle. „Der Arztberuf ist ein freier Beruf – es
käme auch niemand auf die Idee, Apotheker, Anwälte, Hebammen,
Journalisten oder Künstler zwangszuverpflichten. Wenn man jetzt nur
auf die Wahlärztinnen und -ärzte zeigt, macht man es sich auf der
Kassenseite viel zu leicht – es muss das System verändert werden, auch
wenn das natürlich aufwändiger ist“, sagt Wutscher.
Die von der Ärztekammer erarbeiteten Vorschläge neuer Zusammenarbeitsformen und Ähnliches müssen mit Leben erfüllt werden. Die Bürokratie müsse kräftig entstaubt werden. Leistungsfeindliche Bestimmungen in den Honorarverträgen gehörten endlich entfernt, fordert Wutscher: „Nur dann werden sich jungen Kolleginnen und Kollegen dazu entschließen, einen Kassenvertrag für Allgemeinmedizin zu nehmen.“
Maßnahmen-Mix für höhere Attraktivität der Niederlassung
„Diese Ergebnisse bestätigen sehr deutlich unsere langjährigen
Forderungen nach einem geeigneten Maßnahmen-Mix, um die künftigen
Ärztezahlen zu erhöhen und die Attraktivität der Niederlassung zu
erhöhen“, bilanziert Steinhart. „Das bedeutet zum Beispiel flexible
Kassenverträge, die nicht nur individuelle Bedürfnisse von Ärzten
berücksichtigen, sondern auch regionale Versorgungsengpässe
ausgleichen können. Das bedeutet weniger Bürokratie und natürlich mehr
öffentliches Geld für den niedergelassenen ärztlichen Bereich.“
Jetzt sei es wichtig, im Detail zu analysieren, warum immer mehr Ärzte den Kassenbereich uninteressant finden: „Mit entsprechend gezielten und attraktiven Angeboten müsste es gelingen, hier in relativ kurzer Zeit einen Shift von Wahlärztinnen und -ärzten in den Kassenbereich zu bewirken.“
Nicht grundlos habe der Rechnungshof vor einigen Tagen in seinem Bericht die steigende Anzahl der Wahlärztinnen und -ärzte in Verbindung mit der steigenden Nutzung privater Krankenversicherungen als eine zentrale Herausforderung für die Sicherstellung einer ausreichenden ärztlichen Versorgung durch die gesetzliche Krankenversicherung bezeichnet und dem Gesetzgeber empfohlen, Maßnahmen vorzuschlagen, um die Attraktivität der ärztlichen Planstellen der Österreichischen Gesundheitskasse zu erhöhen.
Vorschläge dazu gibt es seitens der Ärzteschaft bereits zahlreiche, unterstreicht Steinhart und fasste zusammen:
- Flexible Kassenverträge und Zusammenarbeitsformen; Verstärkte Möglichkeit der Zusammenarbeit mehrerer Ärzte in einer Arztpraxis
- Weniger sinnlose Bürokratie in Arztpraxen, mehr Zeit für die Patientinnen und Patienten
- International konkurrenzfähige Rahmenbedingungen für Kassenverträge - Attraktive Angebote an Wahlärztinnen und Wahlärzte, einen Kassenvertrag abzuschließen
- Insgesamt: Mehr öffentliches Geld für die niedergelassene ärztliche Versorgung