AiL Juni 2021

aus der MEDI Z IN Der Innsbrucker Molekularbiologe Jerome Mertens und sein Teammodellierten erstmals auch die sporadische, nur imAlter auftretende Form von Alzheimer basierend auf Hautzellen von Patient*innen. Die in Cell Stem Cell veröffentlichten Ergebnisse belegen eine Altersabhängigkeit dieser Form der Krankheit und zeigen, dass Alzheimer-Nervenzellen und Krebszellen einiges gemeinsam haben. D ie genetisch bedingte, vererbbare Form der Alz- heimer-Krankheit ist gut erforscht. Aufgrund des ähnlichen klinischen Bildes bei Erkrankten, die nicht über die entsprechen- den Genmutationen verfügen, ging man davon aus, dass auch die ausschließlich im höheren Al- ter auftretende, sporadische Form von Alzheimer gleichen Prinzipien folgt. Sporadisches Alzheimer ist schwer im Labor zu untersuchen, da es mangels fehlender „Krank- heits-Gene“ keine genetischen Tiermodelle gibt. Auch die zur Verfügung stehende iPS-Methode – iPS steht für „induzierte pluri- potente Stammzellen“ –, mit der es seit rund 15 Jahren möglich ist, aus menschlichen Hautzellen Nerven- zellen herzustellen, erlaubte keine Hinweise auf Unterschiede. „Die iPS-Zellen waren ein Durchbruch für unsere Forschung. Bei dieser Methode gehen allerdings alle epi- genetisch in den Zellen gespeicher- ten Informationen über das Alter verloren. Wir erhalten mit dieser Methode zwar Nervenzellen des je- weiligen Patienten, diese befinden sich allerdings im Baby-Stadium“, erklärt Jerome Mertens. Gemein- sam mit seinem Team gelang es dem Molekularbiologen bereits vor einigen Jahren, eine Methode zu entwickeln, um im Labor aus Hautzellen menschliche Nerven- zellen zu züchten, die das epige- netische Alter erhalten. „Mithilfe der Methode der induzierten Ner- venzellen (iN) können wir Haut- zellen von Patient*innen direkt in Nervenzellen umwandeln, und so auch das Alter sowie alle ande- ren epigenetischen Informationen des Spenders erhalten“, erklärt der Molekularbiologe. Alt versus jung In der im renommierten Fach- journal Cell Stem Cell veröffent- lichten Studie untersuchten die Wissenschaftler*innen Hautzellen von Alzheimer-Erkrankten und verglichen diese mit einer Kon- trollgruppe gesunder Menschen ähnlichen Alters. Ein Vergleich der „alten Nervenzellen“ mit den epi- genetisch gelöschten, die mittels iPS-Methode hergestellt wurden, zeigte klar, dass diese Form von Alzheimer mit dem Alter zu tun haben muss. „Die verjüngten Spen- derzellen der Alzheimer-Erkrank- ten zeigten nahezu keine Hinweise auf eine spätere Erkrankung. Wir sahen in den iPS-Nervenzellen keine Unterschiede zwischen den Zellen der Erkrankten und denen der Kontrollgruppe“, beschreibt Mertens. „Welche altersbedingten Mechanismen die Anzeichen von sporadischem Alzheimer auslösen, gilt es nun herauszufinden.“ Krebs-Mechanismen nachgewiesen Ein weiteres wichtiges Ergebnis dieser Studie betrifft den Status der Nervenzellen der Erkrankten. „Die Nervenzellen der Alzheimer-Er- krankten haben ihre reife Identität verloren und zeigen nun Ähnlich- keiten mit ,unfertigen‘ Nervenzel- len, die ihre Aufgaben weniger gut erledigen können“, sagt Jerome Mertens. Dieser Verlust von Merk- malen der Zelldifferenzierung bei Alzheimer-Erkrankten hat eini- ge verblüffende Ähnlichkeiten zu Krebszellen, denn ähnlich wie bei Krebszellen sind Alzheimer-Zellen nicht so reif wie gesunde Zellen. Das lässt darauf schließen, dass sie durch Stress und DNA-Schaden dedifferenzieren – ein Prozess, der aus der Krebsforschung gut bekannt ist. „Unsere Analysen zeig- ten in den kranken Nervenzellen eine deutliche Herunterregulie- rung von reifen neuronalen Eigen- schaften und eine Hochregulierung von unreifen Signalwegen. Vor al- lem in der Gruppe der Signalwege, die bei den Erkrankten im Ver- gleich zur Kontrollgruppe hochre- guliert waren, gab es eine enorme Ähnlichkeit zu aus der Krebsfor- schung bekannten Daten“, erklärt Jerome Mertens. Dieses Ergebnis überrascht, denn Krebs ist ein ganz anderes Krankheitsbild. Er tritt zwar vergleichbar mit Alzheimer öfter in hohem Alter auf, bei dieser Krankheit teilen sich Zellen aller- dings unkontrolliert und sterben nicht ab. Aufbauend auf diesen Er- gebnissen wollen Mertens und sein Team nun versuchen, Erkenntnisse aus der Krebsforschung zu nutzen und mit ihrer Hilfe neue und zum Teil unerwartete Methoden zur Bekämpfung der Krankheit Alz- heimer aufzuzeigen. Publikation: Mertens et al., Age-dependent instability of mature neuronal fate in induced neurons from Alzheimer’s patients, Cell Stem Cell (2021), https://doi.org/10.1016/j.stem.2021.04.004 Alzheimer-Modellierung zeigt überraschende Ergebnisse 24 | Arzt im Ländle 06-2021

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