AiL April 2021

welche Funktionsänderung jener für die Entwicklungsstörung ver- antwortliche Gendefekt in den Kal- ziumkanälen auslöst. „Wir haben gesehen, dass es da zu einer Verän- derung in der Art kommt, wie sich der Kalziumkanal öffnet und schließt“, fasst Striessnig das Ergeb- nis der Untersuchung zusammen. „Der Gendefekt aktiviert diese Kal- ziumkanäle und verstärkt ihre Funktion.“ Genetische Entwicklungsstörung, die Epilepsie und Autismus auslöst Die Zahl der Personen, deren Er- krankung auf einem Gendefekt von CACNA1D fußt, ist überschaubar. Striessnigs Arbeitsgruppe ist mit etwa zwölf Familien auf der ganzen Welt in Kontakt, bei denen ein Kind Entwicklungsstörungen mit dieser Ursache aufweist. Zum Krankheitsbild gehören in den meisten Fällen eine stärkere intel- lektuelle Beeinträchtigung und Epilepsie, bei einigen Fällen auch Autismus und autoaggressives Ver- halten. „Es ist eine ganz seltene Er- krankung, aber sie ist auch be- stimmt unterdiagnostiziert und es kommen ständig neue Fälle dazu“, resümiert Striessnig. In der Erprobung einer Thera- pie greifen die Forschenden nun auf bereits existierende Medika- mente zurück, die in den Mecha- nismus rund um die Kalziumka- näle eingreifen – allerdings ur- sprünglich zu einem ganz anderen Zweck: um Bluthochdruck zu be- handeln. Diese „Kalziumkanal- blocker“ lassen ein Molekül am Kalziumkanal andocken, das die Aufnahme des Stoffes hemmt. Die Konsequenz ist, dass die Arteri- en erschlaffen und Intensität und Frequenz des Herzschlags zurück- gehen – damit sinkt auch der Blut- druck. Vorsichtige Erprobung existierender Medikamente Nun stellt sich die Frage: Können diese Medikamente auch bei den Entwicklungsstörungen eingesetzt werden, um die verstärkte Aktivität der Kalziumkanäle zu mindern? Bisherige Studien der Innsbrucker Arbeitsgruppe haben ergeben, dass die Empfindlichkeit gegenüber den Kalziumkanalblockern mit der aufgrund des Gendefekts erhöhten Aktivität zunimmt, was Striessnig zuversichtlich stimmt. Nun ist er mit seinem Team dabei, die Famili- en und behandelnden Ärztinnen und Ärzte der jungen Betroffenen für eine vorsichtige Erprobung des Therapieansatzes zu gewinnen. „Wir müssen uns erst an die richti- gen Konzentrationen des Wirk- stoffes herantasten, die die Kalzi- umaufnahme im richtigen Maße hemmen“, erklärt der Pharmako- loge. Doch auch wenn dieser Ansatz funktioniert, dürfe man sich keine vollständige Heilung erwarten, schickt Striessnig voraus. Was aber eintreten könnte, ist eine Abmilde- rung der Symptome: Epileptische Anfälle könnten seltener auftreten, die Kommunikationsfähigkeit könnte sich verbessern, vielleicht das autoaggressive Verhalten ab- nehmen – Fortschritte, die für Pati- entinnen und Patienten wie Eltern in dieser Situation enorm wichtig wären. Ein erstes Etappenziel ist nicht weit, sagt Striessnig: „Wir wollen noch im Jahr 2021 feststel- len können, ob die derzeit existie- renden Medikamente sicher bei den Kindern angewendet werden können.“ Ärztekammer Vorarlberg www.arztinvorarlberg.at Die begleitende Seminarreihe neben der klinischen Ausbildung zur Ärztin/zum Arzt für Allgemeinmedizin, die eine bessere Vorbereitung auf die Tätigkeit als AllgemeinmedizinerIn bietet. Anmeldung und weitere Informationen auf www.arztinvorarlberg.at oder unter allgemeinmedizin@aekvbg.at Arzt im LändLe 04-2021 | 27

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