AiL April 2021

Wichtiger Puzzlestein für die Therapie seltener genetischer Erkrankungen entdeckt A utismus und Epilepsie tre- ten gehäuft im frühen Kin- desalter auf. Die Ursachen dieser Entwicklungsstörungen lie- gen noch weitgehend im Dunkeln. Jetzt haben Forscherinnen und Forscher erstmals wichtige Zusam- menhänge entdeckt. Quelle: Caleb Woods, unsplash Kalzium ist im Körper des Menschen eine streng regulierte Substanz. Der Mineralstoff ist nicht nur für die Knochen und Zähne wichtig, sondern spielt auch eine wesentliche Rolle bei der Funktion von Muskeln, im Herz-Kreislauf- System, dem Hormonhaushalt oder im Nervensystem. Viele Zell- typen im menschlichen Körper verfügen über einen eigenen Me- chanismus, der bei Bedarf eine ex- akte Menge geladener Kalziumio- nen in ihr Inneres gelangen lässt. Wenn diese Zellen elektrisch erregt werden, öffnen sich für Bruchteile von Sekunden sogenannte Kalzi- umkanäle – kleine Poren, durch die tatsächlich nur Ionen dieses Ele- ments durchschlüpfen können. Dieser Mechanismus ist beispiels- weise auch in den Herzmuskelzel- len an der Organisation einer regel- mäßigen Kontraktion des Organs, also des Herzschlags, beteiligt. Viele Zelltypen immenschlichen Körper verfügen über einen präzisen Mechanismus zur Kalziumaufnahme. Ein Gen, in dem ein Teil des Bauplans für diese sogenannten Kalziumkanäle codiert ist, ist gleichzeitig für eine seltene menschliche Entwicklungsstörung mitverantwortlich, die Epilepsie und Autismus auslöst. Eine Innsbrucker Forschungsgruppe untersucht diese Zusammenhänge und arbeitet an einer möglichen Therapieform. Jörg Striessnig, Professor am Department für Pharmakologie und Toxikologie der Universität Innsbruck, beschäftigen die Kalzi- umkanäle der menschlichen Zellen schon seit den frühen 1980er-Jah- ren. In seiner Arbeitsgruppe wurde unter anderem erforscht, wie das Öffnen und Schließen der Kanäle durch eine elektrische Erregung konkret funktioniert und auf wel- che Weise Medikamente diesen Mechanismus beeinflussen. Zudem konnten dank fortgeschrittener molekularbiologischer For- schungsmethoden bestimmte Pro- bleme bei der Regulierung der Ka- näle mit seltenen genetischen Erkrankungen in Verbindung ge- bracht werden, die kindliche Ent- wicklungsstörungen, Autismus oder Epilepsie auslösen. In einem aktuellen vom Wissenschaftsfonds FWF geförderten Projekt versucht Striessnig mit Kolleginnen und Kollegen, noch mehr über diese Zusammenhänge herauszufinden und mögliche erste Therapiefor- men zu finden. Spontane Gen-Mutationen lösen Krankheiten aus „Mit den Möglichkeiten des ,Next Generation Sequencing‘ kann die genetische Information eines Men- schen schnell und vergleichsweise günstig erhoben werden“, erklärt Striessnig. „Damit können auch ge- netische Erkrankungen, die nicht vererbt wurden, sondern durch spontane Mutation entstehen – man spricht von De-novo-Mutati- onen –, besser charakterisiert werden.“ Dank der schnellen Se- quenzierungsmethoden und neu- artiger bioinformatischer Auswer- tungsmöglichkeiten werden so auch immer mehr menschliche Gene identifiziert, die durch ihre Defekte angeborene Entwicklungs- störungen auslösen können. Unter anderem wurde auf diese Art das Gen mit der Bezeichnung CACNA1D als Risikofaktor für die Entstehung von Autismus identifi- ziert. Gleichzeitig ist CACNA1D Striessnig und seinem Team auch durch ihre Kalziumkanal-For- schung wohlbekannt. Denn das Gen ist für die Erzeugung eines Proteins verantwortlich, das für den Öffnungs- und Schließmecha- nismus einer bestimmten Art der Kalziumkanäle mit der Bezeich- nung Cav1.3 zuständig ist. Die Wissenschafterinnen und Wissenschafter haben nun anhand von Zellkulturmodellen untersucht, ÄRZTE & ÄRZTINNEN IN VORARLBERG Die offizielle Facebook-Gruppe der Ärzteschaft Vorarlberg! Beitreten und immer auf dem aktuellsten Stand sein! Aus DeR MeDI Z IN 26 | Arzt im LändLe 04-2021

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