AiL März 2021
Innovation aus Wien Ultraschall zur Behandlung von Gehirnkrankheiten Ultraschall kann nicht nur als bildgebendes Verfahren eingesetzt werden, mit gezielten Ultraschallimpulsen lässt sich eine Reihe an Gehirnerkrankungen, die bisher nur eingeschränkt therapierbar sind, punktgenau behandeln. E inige revolutionäre Verfahren dieser Art wurden in den ver- gangenen Jahren maßgeblich in Toronto und auch an der MedUni Wien entwickelt. Das Wiener Ver- fahren verbessert Hirnfunktionen, indem noch funktionierende Ner- venzellen von außen aktiviert wer- den. Verbesserungen sind bei ver- schiedenen neuropsychiatrischen Hirnerkrankungen wie Alzheimer- Demenz, Parkinson, Schlaganfall, Multipler Sklerose oder Nerven- schmerzen erwartbar. Eine soeben im Fachjournal Advanced Science von der MedUni Wien gemeinsam mit der Universität Toronto veröf- fentlichte Übersichtsarbeit zeigt, dass die neuen Therapien bereits an der Schwelle breiter Anwendung in der klinischen Praxis stehen. In den vergangenen Jahren wur- den neuartige Konzepte für die Ul- traschall-Gehirntherapie entwickelt. Hochfokussierte Ultraschallwellen ermöglichen nun eine nicht-inva- sive Chirurgie, die fokale Übertra- gung von Therapeutika oder Ge- nen an ausgewählten Stellen des Ge- hirns und die therapeutische Modu- lation neuronaler Netzwerke bei ver- schiedenen Gehirnerkrankungen. Laut Roland Beisteiner, unter des- sen Leitung die neue Methode der transkraniellen Pulsstimulation mit Ultraschall (TPS) an der Universi- tätsklinik für Neurologie von Med- Uni Wien und AKH Wien entwi- ckelt wurde, sind die neuartigen Ul- traschall-Methoden kein „Entweder- Oder“, sondern ein echtes Plus für die klinische Praxis: „Die in Wien und Toronto entwickelten Techni- ken stellen neuartige Zusatzoptio- nen dar, mit denen wir bereits eta- blierte Therapien ergänzen können. Die inzwischen publizierten Patien- tInnendaten zeigen, dass die trans- kraniellen Ultraschallinnovationen sicher und für eine breite klinische Anwendung bereit sind.“ Der große Zusatzvorteil des Wiener Verfahrens: es ist nahezu nebenwirkungsfrei. Wiener TPS-Stimulation: Breiter klinischer Roll-out in Sichtweite Die unter Wiener Leitung von ei- nem internationalen Konsortium entwickelte Nervenzell-Stimulati- on TPS wurde bereits Anfang 2020 in einem führenden Wissenschafts- journal als Coverarbeit vorgestellt. Alzheimer-PatientInnen zeigten in dieser Pilotstudie über drei Mona- te anhaltende Verbesserungen. Der breite klinische Roll-out ist bereits angelaufen, erfordert laut Beistei- ner aber besondere Fachexpertise. Neben den auch schon mit älteren, weniger genauen Hirnstimulations- verfahren untersuchten Erkrankun- gen Alzheimer, Parkinson, Schlag- anfall, Multipler Sklerose und Ner- venschmerzen gibt es für TPS wahr- scheinlich auch ganz neue Einsatz- bereiche. TPS ist das einzige Verfah- ren, das auch tiefe Hirnregionen ge- zielt nicht-invasiv aktivieren kann. Daher sind alle Erkrankungen, bei welchen eine Rehabilitation gestör- ter Hirnfunktionen über Aktivie- rung noch funktionierender Ner- venzellen möglich ist, Kandidaten für die neue Wiener Therapie. Für Alzheimertherapie ist TPS bereits zugelassen (CE Zertifizierung). Ultraschall-Methoden aus Toronto: Andere Technik, andere Ziele Die beiden weiteren, klinisch feder- führend von Studien-Coautor And- res Lozano an der Universität To- ronto entwickelten Methoden nüt- zen ebenfalls Ultraschallwellen. Die gezielte nicht-invasive Chirurgie mittels Ultraschall ist bereits für es- sentiellen Tremor und tremordo- minantes Parkinsonsyndrom zuge- lassen. Erstmals ohne Öffnung des Schädels lassen sich so durch geziel- te Ausschaltung überaktiver Ner- venzellen Fehlfunktionen des Ge- hirns therapieren – eine Methode, die in Zukunft bei vielen neurolo- gisch bedingten Bewegungsstörun- gen relevant sein könnte. Die dritte neuartige Ultraschall-Methode, die gezielte Arzneimittel-, Antikörper- oder Gentherapie, löst eine der gro- ßen Herausforderungen der Neuro- logie, indem sie erstmals die loka- le Öffnung der Blut-Hirn-Schran- ke nichtinvasiv ermöglicht. Denn obwohl viele hochwirksame The- rapeutika grundsätzlich zur Verfü- gung stehen, bringt man sie oft nicht an die gewünschte Stelle ins Gehirn. „Durch das Überwinden dieser Bar- riere ist nun erstmals die gezielte Abgabe von Therapeutika und Ge- nen in betroffenen Gehirnarealen möglich. Damit lassen sich potenzi- ell all jene Gehirnerkrankungen be- handeln, bei denen man mit Medi- kamenten gut lokal eingreifen kann, so zum Beispiel Tumor- und mo- torische System-Erkrankungen“, so Beisteiner. Literatur Beisteiner R, Lozano A. Transcranial ultrasound innovations start broad clinical application (2020) Advanced Science doi.org/10.1002/advs.202002026 Arzt im Ländle 03-2021 | 23
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