AiL Jänner/Februar 2021

16 | ARZT IM LÄNDLE 01/02-2021 Wie bist du auf die Idee gekom­ men, dich für einen Auslands­ einsatz zu melden? Den Wunsch in Ländern zu arbei- ten, wo es keine oder kaum medi- zinische Versorgung gibt, hatte ich schon während des Medizinstudi- ums. Für mich ist medizinische Ver- sorgung ein Menschenrecht. Die Mehrheit der Menschheit hat je- doch keinen adäquaten Zugang dazu. Dieser Ungerechtigkeit versu- che ich durch meine Arbeit für Ärz- te ohne Grenzen entgegenzutreten. Was musstest du imVorfeld alles abklären, bevor der Einsatz möglich war? Dies war bereits mein fünfter Einsatz für Ärzte ohne Grenzen. Mein Pro- fil ist der HR Abteilung mittlerwei- le gut bekannt und ich werde dort- hin geschickt, wo ich meine Fähig- keiten am besten einsetzen kann. Mein Einsatzort ergibt sich vorwie- gend auf Grund des Bedarfs in den einzelnen Projekten und natürlich aus meiner Qualifikation. Oft werde ich an Orte mit einem gewissen Ge- waltniveau geschickt, daher behand- le ich bei meinen Einsätzen mit Ärz- te ohne Grenzen vorwiegend Schuss- brüche, offene Frakturen und deren Komplikationen. Wie hast du dich auf den Einsatz vorbereitet? Ich habe so viel wie möglich über Ha- iti nachgelesen, versucht mein katas- trophales Französisch zu verbessern und meine digitale medizinische Bi- bliothek auf den neuesten Stand ge- bracht, insbesondere in Sachen plas- tische Chirurgie. Vorab war auch ein medizinischer Check und etliche Imp- fungen notwendig. Außerdem habe ich im Vorfeld auf meinen Computer genügend Musik und Bücher gespei- chert, falls das Internet nicht funkti- oniert. Ärztinnen und Ärzte im Auslandseinsatz Dr. Michael Rösch war Ende 2020 für Ärzte ohne Grenzen in Port-au-Prince, auf Haiti im Einsatz. Im Interview spricht der erfahrene orthopädische Chirurg über die Zeit auf der karibischen Insel, die Aufgaben und Möglichkeiten während des Einsatzes, sowie die Vorbereitung und den Ablauf dieser außergewöhnlichen Arbeitsmöglichkeit als Mediziner. Du warst im Tabarre Hospital in Port-au-Prince tätig.Wie groß war das medizinische Team vor Ort? Welche Einrichtungen standen euch zur Verfügung? Das Tabarre Hospital wurde von Ärzte ohne Grenzen aus Containern gebaut. Es ist ein reines Unfallkran- kenhaus mit 50 Betten, drei OPs und insgesamt 300 Angestellten. 95% stammen dabei aus Haiti, fünf allgemein und fünf orthopädische Chirurgen bilden das Kernteam. Im Spital selbst gab es die Möglichkeit zu röntgen und im OP stand ein C- Arm zur Verfügung. Wie sieht die allgemeine medizi­ nische Versorgung in diesem Land aus? Es gibt ein staatliches Krankenhaus in Port-au-Prince, die Qualität ist aber leider auf einem niedrigen Niveau, sodass sich die Menschen dort nicht behandeln lassen wollen. Es existieren auch einige Privat- Kliniken, eine Behandlung dort ist aber für die überwiegende Zahl der Menschen viel zu teuer. Ärzte ohne Grenzen behandelt die PatientIn- nen kostenlos. Welches waren die häufigsten Krankheitsbilder/-symptome, die du behandelnmusstest? Da das Tabarre Hospital ein rei- nes Unfallkrankenhaus ist, wer- den ausschließlich offene Frakturen, Schussbrüche und lebensgefährli- che Bauch- und Thoraxverletzun- gen behandelt. Pro Woche haben wir zwischen 100 und 120 PatientInnen operiert. 60 Prozent der Verletzun- gen waren Schussverletzungen, die restlichen 40 Prozent waren bedingt durch Verkehrsunfälle. Neben der Tagesroutine habe ich mich vorwie- gend um die nichtverheilten Fraktu- ren und die chronischen Knochenei- terungen gekümmert. AUS DER KAMMER Dr. Michael Rösch gemeinsam mit einem Patient vor dem Tabarre Hospital.

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