AIL Juni 2020

C e T e R U M Im Augenblick sieht es so aus, als wäre im Zusammenhang mit der SARS-CoV-2-Pandemie das Schlimmste vorerst überstanden.Wir kön- nen noch nicht einschätzen, ob es die vielzitierte zweite Welle geben wird oder ob wir den derzeitigen Stand geringer Neuinfektionen erhal- ten können und sich das Virus irgendwann wieder ganz verabschiedet. Die momentane Entspannungsphase sollten wir auf jeden Fall dazu nützen über die gemachten Erfahrungen zu reflektieren und daraus ab- leitbare notwendige Maßnahmen für die Zukunft zu entwerfen. Was wir bisher ganz allgemein gelernt haben: Erstens muss es eine sinnvolle Balance zwischen regionalen und zentralen Entschei- dungen und Vorgangsweisen geben. Der Staat (sprich: Parlament und Ministerien) müssen rechtzeitig notwendige gesetzliche Vorga- ben machen; regionale Player müssen nach den Erfordernissen der Situation vor Ort entscheiden können. Zweitens sind Begriffe wie Effizienz und Wirtschaftlichkeit grundsätzlich positiv zu bewerten, in bestimmten Bereichen unseres sozialen Systems aber immer mit Bedacht und Augenmaß einzuset- zen. Das Gesundheitswesen (wie im Übrigen auch das Bildungswe- sen) ist mit anderen als reinen Effizienzmaßstäben zu messen. Der pandemiebedingte Lock-Down der medizinischen Einrich- tungen hat für die prognostizierten Erkrankungszahlen ausreichend Kapazität im intramuralen Bereich geschaffen. Allerdings wurden zahlreiche elektive, medizinisch notwendige Maßnahmen verscho- ben, deren Abarbeitung uns noch längere Zeit beschäftigen wird. Auch im Bereich der ärztlichen Ausbildung kam es zu Defiziten. Un- ser zukünftiges Ziel muss es sein, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, ein so radikales Herunterfahren der medizinischen Versor- gung in Zukunft weitgehend vermeiden zu können. Die Erfahrung zeigt, dass vor allem ältere Menschen gefährdet sind und unter die- sen v.a. Bewohnerinnen und Bewohner von Pflegeheimen eine hohe Mortalität aufweisen. Außerordentlich herausfordernd und wichtig ist die Krisenkom- munikation zwischen Akteuren der Politik, Sanitätsbehörde, Ärzte- kammer, Sozialversicherung, Krankenhäusern, niedergelassenen Or- dinationen, Pflegeeinrichtungen, Rotem Kreuz u.a. für einen raschen Entscheidungs- und Wissenstransfer. Die Bedeutung einer ausreichenden Ausrüstung zum Schutz der Patientinnen und Patienten sowie der Ärztinnen und Ärzte und des gesamten medizinischen Personals wurde in der Corona-Krise allen bewusst. Dabei muss vor allem auf eine Produktion vor Ort in Öster- reich/Europa größter Wert gelegt werden. Schutzausrüstung muss in ausreichender Menge vorgehalten werden, am besten in einem dafür geeigneten zentralen Lager für alle medizinischen intra- und extra- muralen Einrichtungen sowie Pflegeeinrichtungen. Hygieneschu- lungen müssen für alle diese Einrichtungen in ausreichender Zahl angeboten werden und Hygienefachpersonal muss vorhanden sein. Die Bedeutung von Impfungen ist ebenfalls erneut ins öffentli- che Bewusstsein gelangt, daher sollten (müssen?!) zur Steigerung der Durchimpfungsraten Influenza- und Pneumokokken- und ggf. weitere verfügbare Impfungen zumindest für die Risikogruppen kostenlos angeboten werden, auch die Impfpflicht zumindest für medizinisches/pflegerisches Personal darf kein Tabu mehr sein. Da vor allem betagte Menschen, insbesondere Pflegheimbe- wohner gefährdet sind, sollte von hausärztlicher Seite der Patienten- wille gut (obligat?) dokumentiert werden (Stichwort Patientenver- fügung). Als wichtige Notfallmaßnahme hat sich die Einrichtung der Infektionsordination(-en) mit Schleusen und Kontaminations- sicherheit sehr bewährt, um die Ansteckungsgefahr in den Ordinati- onen zu reduzieren. Diese sollten solange vorgehalten werden, bis die Pandemiegefahr gebannt ist. Auch nach Bewältigung der Corona- Pandemie sollte während der Infektionssaison eine solche Einrich- tung sinnvollerweise vorgehalten oder zumindest in Bereitschaft ge- halten werden. Ebenso bewährt haben sich das E-Rezept, die Telefonordination und das Aussetzen des Arzneimittelbewilligungs- service zumindest bei Dauerverordnungen. Von großer Bedeutung ist eine ausreichende Testkapazität mit der Möglichkeit für Ärzte bei gegebener Indikation unbürokratisch und rasch Tests zu veran- lassen. Bewährt hat sich die Ausweitung der personellen Diagnostik- möglichkeiten durch mobile Hygieneteams sowie das Drive-In in Röthis. Der Datenschutz darf bei gesicherter Diagnose die Behand- lung und Überwachung durch Hausärzte nicht behindern. Bei Bedarf einer stationären Aufnahme infolge (respiratori- scher) Infekte mit noch unklarem Erreger dürfen die Patientinnen und Patienten nur in einem Einbettzimmer isoliert untergebracht werden, um nosokomiale Infekte zu vermeiden. Das wird für die Krankenhäuser eine Herausforderung, zumal nur Mehrbettzimmer zur Verfügung stehen. Diesbezüglich soll/muss politisch entschie- den werden, ob für solche Fälle ein Notversorgungszentrum als Re- serve in Bereitschaft gehalten werden soll, v.a. für nicht-intensiv- pflichtige pflegebedürftige Menschen mit geringerer Krankheitsin- tensität, welche nicht zu Hause oder in einem Pflegeheim versorgt werden können. Die Motivation von Ärztinnen und Ärzten sich als Pandemie- bzw. Katastrophenmanager ausbilden zu lassen sollte gefördert wer- den, um bei Bedarf über eine durch regelmäßige Trainings erfahre- ne „Stamm-Mannschaft“ verfügen zu können. Hier sind vor allem auch junge Kolleginnen und Kollegen gefragt. Ihr Präsident OMR Dr. Michael Jonas Corona-Pandemie Lehren für die nahe Zukunft und künftige pandemische ereignisse ARzT IM LÄNDLE 06-2020 | 3

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