AIL Mai 2020

„Wenn das SARS-Virus seine ge- genwärtige Pathogenität und Über- tragbarkeit beibehält, dann könnte es zur ersten schweren Erkrankung des 21. Jahrhunderts mit dem Po- tenzial zu einer globalen Epidemie werden.“ Diese Warnung könn- te gut vom Jänner dieses Jahres stammen, als erste Stimmen laut wurden, dass das Coronavirus SARS-CoV-2 wohl nicht auf Chi- na beschränkt bleiben und sich wahrscheinlich über den gesamten Globus verbreiten würde. Doch das Zitat stammt aus einem Dokument der Weltgesundheitsorganisation WHO vom 11. April 2003 – als sich abzuzeichnen begann, dass sich das damals neue, von einer Infektion mit einem Coronavirus ausgelöste schwere akute Atemwegsyndrom (SARS, severe acute respiratory syndrome) zu einer weltweiten Epidemie auswachsen würde. Vorbotin aktueller Ereignisse Die SARS-Pandemie 2002/2003 endete vergleichsweise glimpflich. Offiziell fielen der Pandemie 774 Menschen zum Opfer. Aus heutiger Sicht jedoch stellte sie eine Vor- botin der aktuellen Ereignisse dar. Das SARS-CoV-2-Virus gehört zur selben Virenspezies. Wie die SARS- CoV-2-Pandemie nahm auch die Pandemie am Anfang des Jahrtau- sends ihren Ausgang in China, wo das Coronavirus von als Nahrungs- mittel dienenden Kleintieren auf den Menschen übersprang. Um dem Virus Herr zu werden, wur- den in vielen Ländern Ostasiens, dem Epizentrum der Pandemie, Zwangsquarantänen und Reisebe- schränkungen verhängt, Schulen und Universitäten geschlossen, die Industrieproduktion gedrosselt und Sportveranstaltungen abge- sagt. Abgesehen von Großbritan- nien blieb Europa bis auf ein paar Einzelfälle von der Pandemie ver- schont und wurde von der hiesi- gen Bevölkerung nicht wirklich als Bedrohung wahrgenommen. Die staatlichen Behörden allerdings zo- gen durchaus Konsequenzen: Vie- le Länder erstellten in den Jahren danach erstmals Pandemiepläne; auch die Gründung des Europäi- schen Zentrums für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten (ECDC) ist eine Folge der SARS- Pandemie 2002/2003. SARS ist nur eine von einer Reihe von Infektionskrankheiten, die in den vergangenen Jahren erstmals aufgetaucht beziehungs- weise erstmals in Gebieten aufge- treten sind, in denen sie bislang nicht vorkamen. Infektiologinnen und Infektiologen sprechen in die- sem Zusammenhang von „emer- ging diseases“. Zu dieser Art von Krankheiten zählt auch AIDS be- ziehungsweise die HIV-Infektion, oder MERS (Middle East Respira- tory Syndrome), das erstmals 2012 auftrat und bislang zu weltweit 750 Todesopfern geführt hat. Auch Ebola ist eine Krankheit, die in ländlichen Regionen Zentralafrikas Über Länder und Kontinente Pandemien sind ein ständiger Begleiter der Menschheit. Über Infektionskrankheiten des 20. Jahrhunderts, den Stressfaktor der aktuellen Bedrohungssituation und den neuen Stellenwert von Schutzmasken. zwar bereits länger bekannt war, aber 2014 plötzlich in ganz West- afrika wütete, auch in Großstädten. Wenn es um Pandemien geht und um die Frage, was man daraus lernen kann, spielt eine Erkran- kung eine zentrale Rolle: die Influ- enza. Denn neben der alljährlichen saisonalen Grippe – an der etwa in der Saison 2018/2019 hierzulande immerhin 2851 Menschen starben – treten immer wieder völlig neue Grippeviren auf, die sich dann län- der- und kontinentübergreifend ausbreiten. Erstaunlicherweise ha- ben sich die verheerenden Grip- pepandemien, die im 20. Jahrhun- dert viele Millionen Menschen das Leben gekostet haben, nicht ins kollektive Gedächtnis eingebrannt. Die Spanische Grippe etwa forderte in den Jahren 1918 bis 1920 nach Schätzungen 25 bis 50 Millionen Menschenleben – mehr als der Erste Weltkrieg. Der Asiatischen Grippe, die 1957 ausbrach, fielen schätzungsweise eine bis zwei Mil- lionen Menschen zum Opfer. An AUS DER KAMMER Foto: de.freepik.com ☞ 16 | ARZT IM LÄNDLE 05-2020

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