AIL April 2020
Nachdem wir alle mit der Bewältigung konkreter Probleme, die sich aus dem Verlauf der Coronavirus-Pandemie ergeben, be- schäftigt sind und wir Sie darüber ohnehin laufend informie- ren, versuchen wir hier keine Wiederholung, sondern einen kurzen Rückblick und ansatzweise eine Vorausschau auf die Zeit nach der Krise zu geben. Jede Krise bezeichnet eine poten- tiell gefährliche Entwicklung oder einen Wendepunkt im ge- sellschaftlichen Leben durch Konflikte, im konkreten Fall durch eine Pandemie. Bei einer dauerhaft negativen Entwick- lung droht die Katastrophe. Neben der Verhängung konkreter Maßnahmen zur Krisenbewältigung, fragen wir uns nach dem Warum. Neben naturwissenschaftlichen stellen sich auch phi- losophische Fragen. Philippe Narval zitiert im ‚Standard‘ das 2007 erschienene Buch „Schwarzer Schwan“ des libanesisch- amerikanischen Philosophen Nassim Nicolas Taleb. Darin wer- den die massiven Auswirkungen von sehr unwahrscheinlichen, unerwarteten Ereignissen – ‚schwarze Schwäne‘ genannt – auf das globale gesellschaftliche Geschehen beschrieben, die eine Prüfung für die Belastbarkeit von Systemen darstellen. Im Falle der SARS-CoV-2-Pandemie steht die Belastbarkeit des Ge- sundheits- und Wirtschaftssystems auf dem Prüfstein. Da kommen Fakten der globalisiertenWirtschaft ins Rampenlicht, die im Normalfall kaum hinterfragt werden, wie jene, warum medizinische Schutzausrüstungen, Arzneimittel, Medizinpro- dukte nur in Asien und insbesondere in China produziert wer- den? Warum werden für mögliche Pandemien nicht Reserveka- pazitäten an Schutzausrüstung, Spitalsbetten und besonders Intensivbetten vorgehalten? Warum lässt sich die Politik beson- ders von Gesundheitsökonomen in Zeiten des Normalbetriebs vor sich hertreiben? Was bedeutet überhaupt „Effizienz“ im Gesundheitssystem? Wie wichtig ist die – nationale bzw. euro- päische – Selbstversorgung im Gesundheitswesen? Auf diese Fragen müssen wir nach Bewältigung der Krise nachhaltige Antworten finden! Unser Gesundheitswesen steht mitten in einer so nie erlebten Herausforderung. Die Vorbereitungen darauf haben in kürzes- ter Zeit zu einer nicht für möglich gehaltenen Umstrukturie- rung des Spitalswesens geführt. Es ist noch nicht lange her, dass eben dieses österreichische Spitalswesen durch u.a. beauftragte Gesundheitsökonomen gebetsmühlenartig als aufgebläht und zu teuer öffentlich kritisiert wurde. Zu viele Häuser, zu viele Betten und – im international hinkenden pro Kopf-Vergleich – überhaupt viel zu viele ÄrztInnen. Diese Spitäler sind nun die absoluten Hotspots der primären pandemischen Auswirkun- gen und man ist jetzt um jedes einzelne Bett froh. Die Gründe für die verheerenden Effekte im oberitalienischen Industrie- zentrum Lombardei sind noch nicht bekannt, aber auch deren Genese wird eine multifaktorielle sein. Gesichert allerdings ist die Tatsache, dass das dortige öffentliche Gesundheitswesen in den letzten Jahren – wirtschaftspolitisch motiviert – ökono- misch optimiert, ergo „heruntergefahren“ wurde. Die scho- ckierenden Bilder aus dem hochmodernen 1.000-Betten-Spital „Papa Giovanni XXIII“ in Bergamo sind um die Welt gegangen und haben schließlich so gut wie alle Politiker der Welt zum Handeln bewegt. Die akute Dekompensation einer derartigen medizinischen Infrastruktur war bis dato unvorstellbar. Wir sind – so glauben wir nicht unberechtigt – besser vorbereitet. Wir stehen nun alle alternativlos vor dieser elementaren Her- ausforderung, deren Größe wir noch nicht vollständig kennen. Wir nehmen sie selbstverständlich an und werden – wie immer – unser Bestes geben. Dass wir (alle imGesundheitswesen) jetzt schon dafür zu Helden erklärt werden, halten wir übrigens grundsätzlich für unangebracht. Die Hoffnung aber besteht, dass wir nach dem Durch- und Abzug dieser Pandemie einen anderen gesundheitspolitischen Diskurs vorfinden werden. Diese Krise zeigt uns die Schwächen im neuen österreichischen Sozialversicherungssystem sehr deutlich. Eine besonders rele- vante Schwachstelle ist die fehlende autonome regionale Ent- scheidungskompetenz in der für uns zuständigen ÖGK-Lan- desstelle. Der ÖGK-Landesstellenvorsitzende Jürgen Kessler ist für uns als Ansprechpartner immer gut erreichbar, aber alle Entscheidungen für den niedergelassenen Bereich werden in der Zentrale von Franz Kiesl, der den Vertragspartnerbereich österreichweit leitet, getroffen. Es können zwar Vorschläge Krisenzeiten C E T E R U M 4 | ARZT IM LÄNDLE 04-2020
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