AIL April 2019

tragte, stimmten Dr. Feierle und drei weitere Nationalliberale mit den Christlichsozialen gegen ein Anstellung Rhombergs. 56 Als ein Jahr später an Frau Feierle eine schwierige Operation durchge- führt werden sollte, verweigerte Dr. Rhomberg die Assistenz. 57 Zu diesem Zeitpunkt hatte sich Rhomberg bereits von der deutschna- tionalen Partei ab- und den Arbeitervertretern zugewandt, bei de- nen er Sympathisanten für die freie Arztwahl fand. Denn nicht alle Versicherten waren mit der Krankschreibungspraxis der Kassen- ärzte einverstanden. Zudem hatten sich die laizistischen Parteien Dornbirns zu dieser Zeit auch in anderen Sachfragen, etwa der Schulfrage, einander angenähert. Jedenfalls trat Dr. Franz Rhom- berg bei den Gemeindewahlen von 1900 als Wahlmann der Sozial- demokraten auf. 58 Er war damit der erste Akademiker der Arbei- terpartei in Vorarlberg und blieb deren Mitglied bis zu seinem Tod im Jahr 1928. An seiner Hingabe ans Deutschtum und seinemAn- tiklerikalismus musste er dadurch keine Abstriche machen. In der Ärztekammer aber wollte man ihn nicht mehr in führender Posi- tion sehen. Auch gesellschaftlich dürfte der zum Sozialismus kon- vertierte Fabrikantensohn geschnitten worden sein. Nach seinem Tod „folgte ein großer Leichenzug dem Sarge bis zur Dornbirner Achbrücke“. Danach wurde „der beliebte Arzt zur Verbrennung nach St. Gallen überführt.“ 59 Wegen dieser Art der Bestattung blie- ben die „Herrn der christlichsozialen Fraktion ferne, für sie war der Tote nicht der einstige Kollege, nicht der treue und opferwilli- ge Sohn der Stadt, nicht der Arzt, der viel Gutes getan hatte.“ 60 Auch sein hartnäckiger Kampf gegen die Beschneidung des freien Arztsystems durch die Krankenkassen war zu dieser Zeit bereits Geschichte. Dr. Ignaz Mazer – ein berufener Kassenarzt Die Dornbirner und Bregenzer Kassenärzte hielten sich in der um sie geführten Auseinandersetzung überwiegend in Deckung. Sie waren froh, nicht persönlich attackiert zu werden und einiger- maßen in Ruhe arbeiten zu können. Doch die Kassen benötigten immer wieder fachliche Stellungnahmen eines Medizi- ners. Diese besorgte in der Regel der Bregenzer Arzt Dr. Ignaz Mazer, obwohl gerade er am heftigsten im Fokus stan- despolitischer und antisemitischer Angriffe stand. Und dass er auch noch gut besuchte „Vorträge über erste Hilfeleistung“ ab- hielt, ärgerte die Kollegenschaft zusätzlich. 61 Geboren wurde Dr. Mazer 1860 – im selben Jahr wie Dr. Rhomberg – im galizischen Lemberg. 62 Das Studium in Graz und Wien förderte seine Assimilierung und um die Chance auf eine Kassenarztstelle zu verbessern, konvertierte er 1897 samt sei- ner Frau Sophie, geb. Rabner, in Wien vom mosaischen Glauben zum Katholizismus. Das schützte ihn allerdings nicht vor einer beispiellosen antisemitischen Kampagne, die das katholische Vor- arlberger Volksblatt gegen ihn lancierte. Nahezu beiläufig, zwi- schen Meldungen über das milde Winterwetter, war im Volksblatt vom 1. Februar 1898 zu lesen: „Hier cursiert das Gerücht, der hiesige Cassenarzt Dr. Mazer sei ein Jude und habe sich erst am 26. December, also also unmittelbar vor der Anstellung taufen las- sen. Aufklärung in dieser Sache wäre erwünscht. Von Dornbirn hört man auch oft, die Cassenärzte seien Juden.“ Damit war Dr. Mazer als Jude markiert und die Dornbirner Ärzte wurden pauschal gleich mit unter Verdacht gestellt. Nachdem sich Dr. Mazer in einer Entgegnung gegen diese Veröffentlichung ge- wehrt hatte 63 , schritt die Zeitung von der Markierung zur Enttar- nung. Mit Verweis auf den Medicinal-Schematismus (Ärztever- zeichnis) von 1897 wurde Mazer den Lesern als Dr. Isak Matzer, vorgestellt, der bisher in Retz in Niederösterreich ordiniert habe. 64 Da das antisemitische Vorurteil gerade auch von dieser Zeitung zur „Normalität des Alltags“ 65 gemacht worden war, wussten die Redakteure und ihre ärztlichen Hintermänner um dessen ge- schäftsschädigende und sozial diskriminierende Wirksamkeit. Als das Aufsehen abgeebbt und Dr. Mazer durch seine ärztliche Tätigkeit an Zu- und Vertrauen gewonnen hatte, legte das Volks- blatt nochmals nach. Mazer „erfülle seine Pflichten“ als Katholik zu wenig getreu, was deutlich mache, dass sein Katholizismus „Geschäftssache“ sei. Außerdem wird den Lesern mitgeteilt, dass man „auf die Sache zurückkommen“ werde. 66 Wie stark verankert Mazers Glaube war, interessierte die mehrheitlich deutschnatio- nalen Ärzte wenig. Ihr Kampfziel war die gesellschaftliche Äch- tung der Kassenärzte. Ihnen gelang es, beim Bregenzer Lieder- kranz, dem liberalen Männergesangsverein, eine Mehrheit für den Ausschluss von Dr. Mazer zustande zu bringen. Obwohl vereinsin- tern Mazers fehlendes Deutschtum als Ausschlussgrund verhan- delt wurde, wurde nach außen die fehlende Kollegialität für den Verstoß verantwortlich gemacht. „Jede gesellschaftliche Beziehung und Berührung“, so ein anonymer Sänger-Arzt, „müsste einem Standesgenossen peinlich sein, seine Selbstachtung schädigen und daher überall, wo es nicht vom Zufalle abhängig ist, vermieden werden.“ 67 Etliche Mitglieder des Gesangsvereins, „die Dr. Mazer als gewissenhaften, tüchtigen und friedliebenden Arzt“ 68 kennen- und schätzen gelernt hatten, traten aus dem Verein aus, weil sie weder Antisemiten waren, noch den Kassenkampf innerhalb des Liederkranzes ausgetragen sehen wollten. Im größeren politischen Zusammenhang betrachtet, war der Mazer-Ausschluss eine Machtprobe zwischen Altliberalen und Jungnationalen wie sie auch in anderen Vereinen zu dieser Zeit stattfand. Im selben Jahr 1899 setzten die Deutschnationalen, meist junge Akademiker, beim Bregenzer Turnverein die Einführung des Arierparagrafen durch. 69 Den antisemitischen Ärzten bedeutete die Demütigung des Kollegen Mazer eine zweifache Genugtuung: Zum einen hatten sie dem Juden die Tür gewiesen, zum anderen einen unbotmäßigen Kollegen öffentlich geächtet. Die öffentlichen Anfeindungen hiel- ten Dr. Mazer nicht davon ab, auch seinem Schwager Dr. Martin Lewenhak (geb. 1867) 70 eine Niederlassung in Vorarl- berg zu empfehlen. Jedenfalls übernahm dieser im November 1898 die PatientInnen der Betriebskasse Jenny und danach noch einiger anderer Harder Kassen. 71 Auch hier war das katholische Volksblatt mit seiner antisemitischen Hetze gleich zur Stelle, in- dem der neue Doktor als „Judenstämmling aus Lemberg“ ange- ☞ 56 FZ 9.7.1898. 57 VV 2.3.1901. 58 VV 11.12.1900. 59 Vorarlberger Tagblatt (später VTB) 7.11.1928. 60 Vorarlberger Wacht 10.11.1928 61 VTB 16.11.1898. 62 StArBr Heimatsachen, Akt 834 63 VV 9.2.1898. 64 VV 17.2.1898. 65 Kurt Greussing, Die Erzeugung des Antisemitismus in Vorarlberg um 1900. Bregenz 1992, 140. 66 VV 14.2.1899. 67 VTB 8.2.1899. 68 VTB 5.2.1899. 69 Weitensfelder (wie Anm. 49), 141. 70 Lebensdaten zu Dr. Lewenhak Gemeindearchiv Hard, AF-1950. 71 VV 12.11.1898. Arzt im Ländle 04-2019 | 9

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