AIL April 2019

Aus DeM VIsIoNsPRoZess kündigt wurde. „Es jüdelt überlaut,“ wurde die Situation in Hard beschrieben. 72 Im Gegensatz zu Dr. Mazer fand Dr. Lewenhak in der Industriellenfamilie Jenny gesellschaftlichen Schutz, trat dem „Deutschen Fortschrittsverein“ von Hard bei 73 und erwies sich als ausgezeichneter Arzt. Wie sehr der Harder Arzt im deutschnatio- nalen Milieu verankert war, zeigt auch die Tatsache, dass sein Sohn Egon bereits auf der Mittelstufe des Gymnasiums der deutsch- freiheitlichen Bregenzer Verbindung „Arminia“ beitrat. 74 Beiden Kassenärzten, die auch privat ordinierten, war in den folgenden Jahren gemeinsam, dass sie bei nicht versicherten Patienten – meist kleine Gewerbetreibende – Probleme hatten, die angefalle- nen Honorare einzutreiben. Die verantwortlichen Gemeinden wehrten sich gegen eine Kostenübernahme so gut sie konnten. Ein diesbezügliches Ansuchen wies die Gemeinde ab, da sonst „jeder Gewerbsmann zuletzt die unbezahlten Rechnungen an die Ge- meinde senden könnte.“ 75 Dr. Mazers Arbeitgeber in Bregenz, der Fabriksdirektor der Uhrenfabrik Mauthe und zugleich Bregenzer Krankenkassen- obmann Gustav Iselin, erwies sich als weniger verlässlicher Schutz- herr. Als die Stimmung 1901 in Richtung freie Ärzte überzu- schwappen begann, war Iselin, der bisherige Kämpfer für das Kas- senarztprinzip, der Erste, der für seine Betriebskasse die Pauscha- lierung sistierte. Um auch den übrigen Bregenzer Kassen den „Sys- temwechsel“ zu ermöglichen, trat Dr. Mazer im November 1901 von seiner Kassenarztstelle zurück und ordinierte von da an als freier Arzt. 76 Wirkliche Achtung für seine ärztlichen Leistungen erfuhr Dr. Mazer aber erst während des ErstenWeltkriegs, nachdem er im Bregenzer Reservespital und den verschiedenen Soldatenheimen unermüdlich im Einsatz gewesen war. Seine Gattin Sophie spielte als Leiterin des Damenhilfscomité eine besonders aktive caritative Rolle. 77 DemVorarlberger Volksblatt war der katholische Arzt aber auch bei seinem Tode imMai 1924 kein ehrender Nachruf wert. In der Rubrik „Allerlei“ findet sich am 11. Mai 1924 der Einzeiler, dass „der in weiten Kreisen gesuchte praktische Arzt Dr. Ignaz Ma- zer“ verstorben sei. Das war angesichts des Kommenden ein gnä- diges Schicksal: An seiner Gattin Sophie und seiner Tochter Elsa sollte die von der unseligen christlichsozialen Zeitung eröffnete Hetze imNationalsozialismus zu einem grausamen Ende gebracht werden. Beide wurden aus 1942 aus Bregenz deportiert und in na- tionalsozialistischen Vernichtungslagern getötet. 78 Der Kampf zwischen Ärzteschaft und den Krankenkassen am Ende des 19. Jahrhunderts wurde auf politischer, gesellschaftlicher und persönlicher Ebene ausgetragen. Beiden Kontrahenten ging es ums Prinzip, nicht um Details. Der schließlich gefundene Einigung war in Wirklichkeit ein Sieg der Ärzteschaft, die ihren Status als freier Berufsstand erfolgreich verteidigen konnten. Aber auch die Versicherten erkannten in der freien Arztwahl einen Ausgang aus dem kassenverordneten Zwang. Auf der ge- schaffenen Neuordnung des Verhältnisses zwischen Ärzten und Krankenversicherungen sollte auch die Zusammenarbeit im 20. Jahrhundert basieren. Dass die Protagonisten in dieser Ausein- andersetzung weder öffentlich noch in den jeweils eigenen Reihen eine entsprechende Anerkennung erfuhren, hat seinen Grund auch darin, dass die ehemaligen starren Kampflinien im Laufe des Konfliktes unklarer und von wirtschaftlichen Interessen und ideo- logischen Vorgaben überlagert wurden, die von Anfang an gege- ben, aber erst zunehmend öffentliches Gewicht erhielten. Die Ins- titutionen gingen aus dem Kampf gestärkt hervor: Die Kassen als nunmehr ebenbürtige Vertragspartner, die Ärztekammer als aner- kannte und auch in Zukunft streitbare Standesvertretung. Etliche von den Hauptakteuren blieben allerdings beschädigt zurück. Mag. Karin Metzler 72 VV 13.6.1899. 73 Innsbrucker Nachrichten 1.4.1912. 74 Alois Niederstätter, „unser himmel sei Walhalla!“ Die Deutsch-freiheitliche Verbindung „Arminia“ Bregenz. In: Alemannia Studens 12/2005, 103. 75 VV 16.4.1908. 76 VLZ 7.12.1901. 77 VTB 29.12.1914, VV 4.10.1914 und VV 9.11.1916. Siehe auch Daniel Spiegel, Das Vorarlberger rote Kreuz von den Anfängen bis zur Gegenwart. Innsbruck 2004, 61. 78 Siehe Meinrad Pichler, Nationalsozialismus in Vorarlberg: Opfer, Täter, Gegner. Innsbruck 2012, 175 f. Spannende Literaturtipps für Erwachsene und Jugendliche, die die neuere Geschichte Vorarlbergs verstehen wollen Neben zahlreichen anderen Publikationen zur Vorarlberger Landesgeschichte: Menschen In Bewegung. Lebenswege und Zeitläufte. Bregenz 2017 Das Land Vorarlberg 1861 bis 2015. Geschichte Vorarlbergs Bd. 3. Innsbruck 2015 Nationalsozialismus in Vorarlberg.Täter – Opfer – Gegner. Innsbruck 2012 Auswanderer. Von Vorarlberg in die USA 1800-1938. ÄRZTE & ÄRZTINNEN IN VORARLBERG Die offizielle Facebook-Gruppe der Ärzteschaft Vorarlberg! Beitreten und immer auf dem aktuellsten Stand sein! 10 | ARZT IM LÄNDLE 04-2019

RkJQdWJsaXNoZXIy MTY1NjQ=